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Eltern family 11/21

Ein Text über das Lügen. Aber sehr ehrlich geschrieben.


Jetzt mal ganz ehrlich


Eigentlich halte ich mich für einen ehrlichen Kerl, abgesehen von der gelegentlichen Parkstrafe begehe ich keine nennenswerten Verbrechen. Nur mit der Wahrheit nehme ich es manchmal nicht so genau. Und das hat Gründe.


„Vor zwei Jahren habe ich in Wien John Cleese getroffen, er hat mir und meinen Kabarett-Kollegen erlaubt, seine Nummern aus Monty Python zu spielen.“ Wahr oder nicht wahr? Ich werde es euch nicht verraten, aber: Wenn ich diese Geschichte oft genug wiederhole, steht sie irgendwann auf meiner Wikipedia-Seite unter „Anekdoten“ und wenn es auf Wikipedia ist, stimmt es, oder?


Mit unseren Erzählungen können wir unsere eigene Wirklichkeit schaffen. Klingelt da was bei euch? Denkt ihr da auch an Fake-News, alternative Fakten und andere böse Methoden der Realitätsverdrehung? Schließlich sind wir aufgeklärten Europäer ja große Verfechter von Wahrheit und Ehrlichkeit. Meistens jedenfalls. Hilft uns eine Lüge weiter, ist das natürlich etwas völlig anderes. Zum Beispiel in der Erziehung.


Also, Hand aufs Herz: Wann habt ihr das letzte Mal eure Kinder belogen? Und sagt jetzt bitte nicht: „Noch nie!“, denn das wäre auch eine Lüge. Na gut, vielleicht habt ihr es nicht Lüge genannt, sondern wahlweise Märchen, Geschichte, Schmäh, Scherz, Legende, Schwindeln, Flunkern oder Notlüge. Aber wie viele Namen man der Sache auch umhängen mag, es bleibt, was es ist: Nicht die Wahrheit.


Ich finde, wir können, ja wir sollten dazu stehen. Eine Aufgabe von Eltern ist es doch, die Welt für ihre Kinder ein wenig zu filtern. Und wenn sie mit der Erklärung „Das Geschäft hat heute leider schon zu“ besser leben können als mit „Das Spielzeug ist dämlich und wenn deine Freunde es so toll finden, sind sie auch dämlich“, dann finde ich das auch durchaus gerechtfertigt.

Daher will ich an dieser Stelle ein Plädoyer für die Lüge halten, immerhin gibt es zumindest vier gute Gründe fürs Anlügen von Kindern.


Der erste: Mit einer kleinen Lüge können wir ihnen die manchmal recht triste Realität ein wenig bunter malen. Die Zahnfee ist eine schönere Geschichte als „Der Papa schleicht in dein Zimmer, kramt den Zahn hervor und wenn er nicht wirklich besonders schön ist, wirft er ihn wahrscheinlich weg.“ Ich finde, Kinder im Grundschulalter dürfen noch in einer leicht abweichenden Version unserer Welt leben, also in einer, die voller Superhelden, Einhörner und Regenbögen ist. Und voller Christkinder und Weihnachtsmänner. Meine Mädels glauben tatsächlich noch daran, dass ein kleines Kind mit Flügeln die Geschenke unter den Baum legt. Zumindest glaube ich, dass sie das glauben. Die ältere Tochter hat uns schon lange nicht mehr direkt danach gefragt, vermutlich, weil sie die Antwort gar nicht wissen will. Beim letzten Mal, etwa vor einem Jahr, lief das Gespräch ungefähr so ab:

Kind: „Ich glaub nicht, dass es das Christkind wirklich gibt.“

Mama: „Wie du meinst, ich glaub’s schon.“

Kind: „Dann glaub ich’s doch wieder.“

Eine mütterliche Meisterleistung. Denn dass Mama daran glaubt, kann man nicht beanstanden, und wenn die Kleine sich davon beeinflussen lässt, ist sie in Wahrheit selber schuld.


Der zweite gute Grund, seinen Kindern die Wahrheit nicht zu erzählen, ist, dass sie manchmal einfach nicht kindgerecht ist. Welchen Mehrwert haben Kinder davon, wenn man ihnen von den weniger schönen Aspekten des Lebens berichtet? Sie müssen sich noch lange genug mit Nachrichten über Katastrophen, Kriege und Wahlkämpfe herumschlagen. Unwissenheit kann ein Segen sein.


Drittens finde ich, dass wir Eltern das Recht haben, auch mal für Ruhe zu sorgen, und damit meine ich Ruhe für uns.

„Papa, warum haben Wale Barten?“

„Weil dem lieben Gott die Zähne ausgegangen sind.“

Manchmal habe ich einfach keine Lust auf lange Erklärungen, gefolgt von Online-Recherchen und dem unausweichlichen Eingeständnis, dass ich keine Ahnung habe. Außerdem würde mein über Jahre sorgsam aufgebautes Image als „allwissender Weiser“ zusammenbrechen, wenn ich nicht auf jede Frage sofort eine Antwort parat hätte. Muss ja nicht immer die richtige sein.


Und Viertens: Manchmal lügen wir aus reiner Liebe. Im zarten Alter von vier Jahren belegte meine Große beim Go-Cart-Rennen im Kinderhotel den ausgezeichneten vierten Platz. Weil es aber nur vier Teilnehmerinnen gab, durfte sie als einzige nicht aufs Podest und musste ganz allein den Medaillengewinnern – also allen anderen Kindern – beim Jubeln zusehen. Um mein Herz vor dem Zerbersten zu bewahren, erklärte ich ihr kurzerhand, dass sie gewonnen hat! Bravo! Und, dass die Sieger immer als letzte aufs Podium dürfen! Juchuu! Und da stand sie dann ganz allein, ohne Medaille, ohne Publikum, aber am obersten Treppchen. Und war wahnsinnig stolz.


Neben diesen vier Gründen gibt es noch einen Graubereich. Nämlich an dem Tag, an dem unsere Kinder sich urplötzlich existenziellen Fragen zuwenden.

„Papa, ist der Ur-Opa im Himmel?“

„Natürlich.“

„Sicher?“

„Würde ich dich anlügen?“

Was ist das? Eine Wahrheit, die wahr sein muss, weil ich daran glaube? Oder eine glatte Lüge? Oder einfach ein Verschweigen der Tatsache, dass ich es schlicht und einfach nicht weiß? Auf die Frage, ob ich auch mal sterben werde, hab ich noch nie gelogen, aber sehr wohl versucht, die Wahrheit so unbeschwert wie möglich zu verkaufen: „Ja schon, aber erst viiiieeel später.“

Und es funktioniert: „Das passt, dann bist du eh schon uralt.“


Ach ja, jetzt fällt mir auch noch Grund Nummer fünf fürs Lügen ein: Manchmal macht es einfach unglaublich viel Spaß. Ihr fragt jetzt, wie ich den Mädchen dann später erklären will, dass ich manchmal geflunkert habe und in Sachen Ehrlichkeit kein richtig gutes Vorbild war?

Die Wahrheit ist: Dafür fällt mir sicher auch noch eine richtig schöne Geschichte ein!


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